Sonntag, 4. März 2012

Die Maske vor der Schwester

Das knarzende Geräusch der Rolltreppe war kaum noch zu ertragen. Es war eine Frage der Zeit, wann sie ihren Geist aufgeben würde. Es waren noch fünf Stunden bis Feuerabend. Sie freute sich auf das Essen mit ihm. `Platsch´ machte es. Vor ihren Füßen lag eine aufgeplatzte Tasche. Mitten in diesem kleinen Chaos lag ein Foto, teilweise bedeckt von Münzen. Sie traute ihren Augen nicht.

War das denn nicht Jonas? Ein Passbild, klein und biometrisch gemacht, wie es den gesetzlichen Anforderungen entsprach, aber es ging Lizbeth nicht um die Machart des Fotos, sonder darum, was es in einer fremden Damenhandtasche zu suchen hatte. Mit großen Augen schaute sie zu der fremden Frau hinab, die eiligst den Inhalt wieder einräumte und von ihrer Fassungslosigkeit gar keine Notiz nahm. Normalerweise hätte Lizbeth ihr geholfen, das war geradezu eine Selbstverständlichkeit für sie. Jetzt konnte sie nur dastehen, das Knarzen der Rolltreppe war zu einem Dröhnen in ihren Ohren geworden, vibrierte hart in ihrem Trommelfell, schlich sich ein in ihren Kopf, brachte die Synapsen in ihren Gedanken ganz und gar durcheinander. Wurde sie denn bereits betrogen? Die junge Frau schaute der Anderen hinterher, die ohne ein Wort zu sagen oder sie überhaupt eines Blickes zu würdigen von dannen geschritten war. Gut sah sie ja aus, mit ihrem langen schwarzen Haar, dem Wollkleid, das bis an die Knie reichte, der blickdichten Strumpfhose und den Pömps. Ach, das Haar war doch bestimmt gefärbt, das Kleid ganz fusselig, die ersten Laufmaschen würden sich bald ergeben oder der Absatz würde brechen, wer weiß? Und wen kümmerte es? Tatsache war doch, sie hatte ein Foto von ihrem Freund gehabt und Lizbeth wollte heute Abend mit Jonas aus essen gehen. Wollte er sie so etwa abspeisen, im wahrsten Sinne des Wortes? Meinte er ein wenig Kerzenschein hier, ein wenig Spaghetti da und dort vielleicht noch ein Glas Rotwein und schon wäre sie, Lizbeth, gnädig genug gestimmt ihm zu verzeihen, das sie leider nicht mehr seine Nummer 1 wäre und im Zuge dessen doch bitte die gemeinsame Wohnung räumen dürfe. Bitter lachte Lizbeth über diesen Gedanken, nein, so würde es nicht kommen, nicht nach fünf Jahren, nicht nach all den Höhen und Tiefen erst des Schulalltags und jetzt der Ausbildung. Die Zeit verging, die angehende Kauffrau im Einzelhandel versuchte so gut es ging sich von den düsteren Gedanken abzulenken, was ihr dank ihres Berufes auch recht leicht fiel. Und endlich kam er, der für alle erlösende Schlag zum Feierabend. Lizbeth zog ihren Mantel an, überprüfte mit einem kurzen Blick in den Spiegel ihr Äußeres - unnötig sich darüber Sorgen zu machen, denn sie war eine bildhübsche Frau, wie viele fanden - und trat über den Personaleingang ins Freie. Was sie nun sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren: Jonas und die Fremde, miteinander scherzend, lehnten an der gegenüberliegenden Mauer. Hastig schluckte Lizbeth den Kloß, der ihr in der Kehle brannte hinunter und stapfte zu den beiden hinüber. War ihr Gesichtsausdruck auch nicht zu trotzig? Wen interessierte das denn noch? Jonas ging lächelnd auf sie zu, umarmte sie kurz und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. "Schatz, darf ich dir meine Schwester vorstellen? Also nicht wirklich Schwester, aber wir kennen uns von klein auf und waren stets so unzertrennlich wie eben Geschister!" Lizbeth und die `Schwester´, die Norah hieß machten sich miteinander bekannt. Doch die Tränen in den Augenwinkeln versiegten nicht, das Herz in Lizbeths Brust kannte die Antwort schon, zu bekannt das Gefühl des betrogen worden seins. Und sie setzte die Maske auf und spielte mit.

Der kursiv geschriebene Teil war vorgegeben, den Rest musste man sich dazu ausdenken. Ich denke, ich habe es gut gemacht.

© Kimira 
 

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