Freitag, 25. März 2011

Der Alte

Dort droben im Wald, da steht eine einfache Hütte, da lebt ein alter Mann. Wie lange er dort nun schon wohnt, vermag keiner zu sagen. Am Markttage sieht man ihn durch das Dorf am Fuße des Berges, auf dem der Wald ist, durch die Gassen schlendern, ruhig und gemächlich im Gang, die Miene ernst und gütig zugleich. Es schien als habe dieser graubärtige Gesell schon viel von der Welt gesehen, doch habe seinen Frieden mit ihr geschlossen.
Nun begab es sich dereinst in einer vom Wind umtosten, kalten Oktobernacht, das er vor seiner Hütte saß und ein kleines Feuer in einem windgeschütztem Eck unterhielt als er aus der Nachtschwärze des Waldes ein Knacken hörte, wie es kein Luftzug hätte verursachen können.
Er verharrte in der Bewegung, faltete die Hände zwischen den Knien zusammen und wartete. Den Blick fest auf die Quelle des Geräuschs gerichtete, welche seine nun schon altersschwachen Augen nicht ausmachen konnten.
Ein Rascheln, ein Zweig wurde beiseite geschoben und eine junge Frau betrat die Lichtung. Ihr dunkelblondes Haar hing ihr wirr im Gesicht, Blätter und Zweige hatten sich darin verhangen und auch sah es aus, als hätte sie geweint.
Sekundenlang starrten sie einander an, dann machte der Alte einen Handzeig auf den Baumstamm neben sich: „Bitte. Setz dich.“
Erst starrte die Frau ihn an als hätte sie schon lang kein freundliches Wort mehr gehört und dessen Bedeutung vergessen. Aber schließlich ging sie zögernden Schrittes auf den Stamm zu und setzte sich unbeholfen.
Die Nacht schritt voran, keiner sagte ein Wort, sahen ins Feuer als könnten sie darin die Zukunft lesen und wie sie da gemeinsam saßen flaute der Wind ab.
„Der Sturm zieht weiter“, meinte der Alte ohne seinen Blick abzuwenden.
„Nicht der in meinem Kopf“, entgegnete die Junge ebenfalls ohne ihren Kopf zu wenden.
„Das wird er auch nicht, wenn du ihn in dir begräbst.“
Die Blonde seufzte, strich sich eine verirrte Haarsträhne aus den Augen. Eine Weile schwieg sie, senkte den Blick. Sprach dann zu Erde und Moos, berichtete, was geschah:
„Ich habe einen Freund, er kommt aus der Stadt, wo die Menschen nicht so borniert sind wie bei mir im Dorfe. Meine Familie und sowieso alle Einwohner sind der Meinung, er übe einen schlechten Einfluss auf mich aus, dabei stand mir der Sinn schon immer nach Veränderung. Und jetzt... jetzt bin ich schwanger von ihm. Ich lief fort, fort, denn ich kann dieses Kind, das in meinem Leibe wächst weder abtreiben noch austragen, ohne das es unbemerkt bleibt. Am Besten wäre es doch, ich würde sterben und dies Geheimnis mit ins Grab nehmen.“
Hier musste sie abbrechen, bedeckte kurz ihre Augen um die Tränen zu verbergeb, die ihr wieder über die Wangen rollten.
„Schau“, der alte Mann nahm einen Ast. „Dieser Ast bist du jetzt.“ und er brach ihn mühelos entwei, „Sieht du, wie leicht er zerbricht? Hingegen“, und er nahm mehrere Äste zur Hand und bog sie, doch nicht einer ging zubruch, „einige Äste, die zusammen halten kann nichts zerstören. Sei Teil des Bündels und rede offen mit deiner Familie und deinem Freund.“

Als der Alte am nächsten Morgen erwachte lag ein ordentlich geschichtetes Bündel Äste neben seiner Schlafstätte. Die junge Frau war fort.
Er lächelte.

©Kimira